Damit Köln besser isst – Kommunale Daseinsvorsorge oder regelt’s der Markt?

Wer muss sich darum kümmern, dass sich Köln nachhaltiger mit Lebensmitteln versorgen kann? Wie greifen kommunale Daseinsvorsorge und der freie Markt ineinander und was kann ein “Food Hub” für Köln bewirken? Diesen Fragen widmeten wir uns mit Expertinnen und Experten aus dem Kölner Ernährungssystem und Gästen bei unserer Veranstaltung am 29. Februar in der HDI-Kantine in Köln Deutz.

Die Daseinsvorsorge einer Kommune beschreibt die grundlegenden Dienstleistungen und Infrastrukturen, die das tägliche Leben der Bürgerinnen und Bürger unterstützen und verbessern. Sie ist ein maßgeblicher Faktor für die Lebensqualität und das Wohlbefinden ihrer Einwohnerinnen und Einwohner, indem sie eine solide Basis für ein aktives, gesundes und sozial verbundenes Leben schafft. Bislang wurden die meisten Aspekte der Ernährung der Bevölkerung nicht als kommunale Aufgabe im Sinne der Daseinsvorsorge betrachtet, aus Sicht der Ernährungsräte muss die nachhaltige Versorgung der Stadt auf die Agenda der Kommunen. Ein wichtiger Baustein zu einer nachhaltigen Versorgung sehen wir im Aufbau, regionaler Versorgungsstrukturen. Schlüsselelement hierfür sind lokale Verteilzentren für Lebensmittel, auch „Food Hubs“ genannt.

Das Konzept eines “Food Hubs” stammt aus den USA. Das US Department of Agriculture beschreibt sie als “zentrale Einrichtung mit einer strukturierten Leitung, die die Sammlung, Lagerung, Verarbeitung, Verteilung und/oder Vermarktung von regional produzierten Lebensmitteln erleichtert”.

Die Wahl der HDI-Kantine als Veranstaltungsort war kein Zufall. Hier werden täglich rund 1.200 Mahlzeiten serviert. Damit ist die Kantine eine Vorreiterin auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Gemeinschaftsverpflegung. Bei der Zubereitung der Speisen wird Wert auf Saisonalität, Regionalität und Bio-Zertifizierung gelegt, und ein Drittel des Angebots ist vegetarisch oder vegan. Norbert Bremer, Leiter des Konzern Caterings bei HDI, betonte in seinem Vorwort, dass die herausragende Qualität der Speisen dazu führt, dass 70-80% der Mitarbeitenden ihre Mahlzeiten vor Ort einnehmen.

 

Prof. Dr. Arnim Wiek, Humboldt-Professur für Nachhaltige Ernährungswirtschaft, Universität Freiburg

Den ersten Vortrag hielt Prof. Dr. Arnim Wiek von der Universität Freiburg, der zu nachhaltiger Ernährungswirtschaft forscht. Sein Vortrag beleuchtete zunächst die Notwendigkeit einer umfassenden Ernährungswende als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Nachhaltigkeitsbewegung. Dabei betonte er, dass diese Wende vor allem eine Ernährungswirtschafts-Wende sein muss. Er wies auf die oft unsichtbaren Komponenten und Problemdimensionen unserer globalen Ernährungssysteme hin. In seinen Kernaussagen formulierte der Wissenschaftler klare Handlungsempfehlungen: Lokale Beziehungsgeflechte und kommunale Regelungen sind unerlässlich für eine zuverlässige Versorgung, faire Wertschöpfungsketten und die Förderung gesunder und nachhaltiger Lebensmittel. Seine Formel dafür lautet: Verantwortung übernehmen + Innovation fördern auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Obwohl Food Hubs einen Beitrag leisten und international anerkannt sind, reichen sie nach seiner Ansicht als alleinige Maßnahme nicht aus. Es bedarf auch betrieblicher und sozialer Innovationen, um die Ernährungswirtschaft nachhaltig zu gestalten. Jungen Menschen, die sich aktuell wieder stärker für landwirtschaftliche Ausbildungen interessieren, sieht er als wichtige Partner, um die Landwirtschaft hin zu solidarischen, ökologischen und alternativen Betriebsmodellen zu transformieren. Abschließend betonte Professor Wiek den Bedarf an konkreten Zahlen und Daten für die Bewegung sowie Entscheiderinnen und Entscheidern auf kommunaler Ebene. Es sei wichtig zu wissen, welcher Anteil der lokalen Ernährung tatsächlich über Großmärkte versorgt wird und wer welchen Anteil an der kommunalen Daseinsvorsorge leistet. In seinem Leitfaden für Politik und Verwaltung beschreibt er, wie kommunale Instrumente für eine nachhaltige Ernährungswirtschaft eingesetzt werden können.

Nach dem Vortrag wurde das Thema Food Hub in Form von „Blitzlichtern“ aus der regionalen Wertschöpfungskette beleuchtet.

v.l.n.r. Julia Gappmaier, online zugeschaltet (Ja-Zu-Nah GmbH), Charlotte Grieser (Moderatorin), Zoe Heuschkel (Ernährungsrat), Heinrich Trippen (Kartoffelkult), Jörn Böttcher (Großmarkt Hannover GmbH), Stefanie Limbach (HDI Group), Maike Block (IG Gastro), Prof. Dr. Arnim Wiek (Universität Freiburg), Mathias Johnen (DEHOGA Nordrhein)

Heinrich Trippen vom Kartoffelkult betonte die Notwendigkeit, als Landwirt im direkten Kontakt mit den Kunden zu bleiben, um Veränderungen und unterschiedliche Bedürfnisse mitzubekommen. Ein Food Hub, der diesen kommunikativen Vermittlungsauftrag integrieren kann, wäre für ihn ideal, denn: „Einmal in die Stadt fahren ist ok aber nicht 10 Mal. Es ist außerdem auch ein hoher bürokratischer Aufwand die Belieferung zu organisieren“. Er betonte, dass gerade jungen Landwirt:innen ein Food Hub den Einstieg erleichtern könnte, wenn ihnen Organisationsaufwand abgenommen würde.

Stefanie Limbach, Qualitätsmanagerin der HDI Group, äußerte das Interesse der HDI als potenziellen Abnehmer eines Food Hubs. „Es wäre einfacher mit der spezifischen Versorgung, es gäbe mehr Vielfalt und Auswahl. Als Qualitätsmanagerin wäre es auch einfacher, einen zentralen Ort für die Kommunikation zu verschiedenen Produzierenden zu haben“. Allerdings bräuchten große Abnehmer wie die HDI-Kantine entsprechende Vorverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. So müssten beispielsweise auch vorgeschnittene Frischprodukte angeboten werden.

Maike Block von der IG Gastro betonte die heterogenen Bedarfe der Gastronomien. Food Hubs müssten daher auch eine Beratungsfunktion innehaben und auf Fragen eingehen können wie „Wer ist ein guter regionaler Produzent?“, „Auf wen kann ich mich verlassen?“. Eine massive Rolle spiele auch Bequemlichkeit und Machbarkeit. Food Hubs sollten daher moderne Einkaufsorte sein. Dazu müsse vorher beispielsweise online einsehbar sein, was auf dem Großmarkt gehandelt wird. Es sollten alle modernen Mittel genutzt werden, die zur Verfügung stehen, so Block, denn schließlich gehe es um die Versorgung einer breiten Vielfalt und Anzahl an Gastronomien.

Mathias Johnen von der DEHOGA Nordrhein brachte eine neue Perspektive ein: Ein digitales Portal, eine Art „Bauer findet Koch oder Gastro findet Bauer“, sei notwendig, betonte er. Johnen unterstrich die Bedeutung persönlicher Beziehungen trotz der zunehmenden Digitalisierung in der Ernährungswirtschaft. Dabei skizzierte er die Vision eines Großmarkts als lebendigen Ort, an dem Produzent:innen ihre Produkte ähnlich wie auf einer Bio-Messe präsentieren können. „So kommt es auch zu einem Ideenaustausch. Es muss mehr über das Thema geredet werden“, fügte er hinzu.

 

Im zweiten Vortrag sprach Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Jörn Böttcher, Geschäftsführer des Großmarkts Hannover GmbH. Wie bereits von Prof. Dr. Wiek erwähnt, betonte auch er, dass Marktmechanismen nicht in der Lage sein werden eine nachhaltige Versorgung der Städte zu garantieren – allerdings aus einem anderen Grund: „Der Markt regelt es nicht, weil es keinen Markt gibt, sondern nur noch 4 große Händler“, stellte er selbstbewusst fest. Er beschrieb die Entwicklung des Großmarkts Hannover von den 60er Jahren bis heute. Böttcher betrachtet sich als Dienstleister für die Genossenschaft, die zu 50% aus Händlern und zu 50% regionale Produzenten besteht. Als Geschäftsführer sieht er den Großmarkt als eine Plattform zum Handeln. Seine Begeisterung für den Großmarkt spiegelte sich auch in den beeindruckenden Zahlen wider, die er präsentierte: 230.000 qm Fläche, 30.000 Frischeprodukte und über 55.000 Produkte verschiedenster Art. Täglich werden über 1.000 Tonnen an regionalen und internationalen Lebensmitteln auf dem Großmarkt bewegt. Sein Appell an das Publikum: „Tut euch zusammen! Nicht zu dritt, sondern zu fünfzigst. Dann entstehen erst Synergien“.

Julia Gappmaier aus Niederösterreich schaltete sich ein, um uns ein Best-Practice-Beispiel ihres Startups Ja-Zu-Nah GmbH zu präsentieren. Das Unternehmen vermarktet seit 2022 regionale Lebensmittel an Großküchen. Ursprünglich als Vermittler zwischen Landwirten und Küchen gedacht, ist es mittlerweile selbst als Händler tätig, mit 3 Vollzeitkräften und 5 Teilzeitkräften. Obwohl früher alles intern organisiert wurde, übernimmt beispielsweise ein neuer Logistikpartner heute die Touren. Eine Besonderheit des Unternehmens ist die just-in-time-Anlieferung der Landwirte: Die Küche bestellt, dann bringen die Landwirte das Produkt nach St. Pölten, wo es portioniert und in die Großküche gebracht wird, um auch die Hygieneanforderungen der Kunden zu erfüllen. Das Startup organisiert zweimal im Jahr Vernetzungstreffen zwischen Landwirt:innen und Küchen, bei denen auch Auszeichnungen verliehen werden, um den Kunden eine Plattform für Austausch und gegenseitige Anerkennung zu bieten.

Zum Abschluss fasste Zoe Heuschkel vom Ernährungsrat Köln noch einmal die Rolle des Ernährungsrats für das Thema Food Hub in Köln zusammen. Sie betonte den Beitrag des Ernährungsrats zur Außer-Haus-Verpflegung, um Inhabergeführte, handwerkliche Gastronomie zu unterstützen und die Regionalität und Saisonalität im gastronomischen Angebot zu stärken. Der Ernährungsrat sieht sich derzeit nicht als zukünftiger Betreiber eines Kölner Food Hubs, sondern lädt alle, die sich am Aufbau eines Verteilzentrums für regionale Lebensmittel beteiligen wollen und können an einen Tisch.

Am Ende der Veranstaltung kehrten die Referent:innen für Fragen aus dem Publikum auf das Podium zurück. Der Austauschbedarf war groß, so dass der Abend nicht mit den üblichen Dankesworten endete, sondern erst nach langen Gesprächen bei leckeren Speisen aus der HDI-Kantine.

Ernährungsrat Köln