Ein Gastbeitrag von Sonja Eisenbeiss
Am 4. Juni 2020 hat der Ausschuss “Umwelt und Grün” der Stadt Köln dem Aktionsplan “Essbare Stadt Köln” zugestimmt. Damit kann sich Köln in die ständig wachsende Liste essbarer Städte und Gemeinden einreihen.
Was macht eine Stadt oder Gemeinde “essbar”?
Im Aktionsplan “Essbare Stadt Köln” findet man auch die Kölner Definition von “essbarer Stadt”: “Bei der Essbaren Stadt geht es um die Erzeugung von Lebensmitteln für Mensch und Tier, von und mit Menschen aus und in der Stadt und im städtischen Umfeld. Diese Definition umfasst auch das, was im Verständnis der Stadt Andernach zur Essbaren Stadt gehört: Der Anbau von Gemüse und Obst in öffentlichen Grünanlagen. Sie öffnet das Konzept aber zugleich für anderen Formen des Gärtnerns in der Stadt – wie in urbanen Gemeinschaftsgärten, in Bildungseinrichtungen, in Firmen-, Schreber- oder Privatgärten. Gemeinsam ist diesen Aktivitäten der Essbaren Stadt, dass sie einen offenen, gemeinschaftlichen und partizipativen Charakter haben. Sie unterscheiden sich darin, ob der Fokus eher auf der Erzeugung von Lebensmitteln liegt, wie bei Mietäckern oder bei der Solidarischen Landwirtschaft, oder ob Gemeinschafts- und Bildungsaspekte im Vordergrund stehen, wie in Urbanen Gemeinschaftsgärten oder Schulgärten.”
Der Ausschuss Umwelt und Grün hat nicht nur dem Aktionsplan zugestimmt; er hat auch die Verwaltung beauftragt, diesen Plan in Zusammenarbeit mit dem Ernährungsrat der Stadt Köln umzusetzen. Dies sollte es leichter machen, Bildungsangebote zu machen und gärtnerische Projekte in der Stadt zu realisieren. Details zum Aktionsplan und den geplanten Schritten findet man auf der Webseite der Stadt Köln und auf der Webseite der essbaren Stadt. Hier gibt es auch Informationen dazu, wie alle selbst dazu beitragen können, ihre Stadt essbarer zu machen – in Köln oder in anderen Städten, Gemeinden und Regionen der Welt.
Wie wurde Köln zur essbaren Stadt?
Das Konzept „Essbare Stadt Köln“ wurde vom Ernährungsrat der Stadt Köln und Agora Köln in einem umfassenden Beteiligungsprozess ausgearbeitet. Unter anderem gab es zwei Barcamps, bei dem alle Menschen in Köln eingeladen waren, das Konzept mitzugestalten. Beim ersten Barcamp waren es noch ca. 60 Personen, beim zweiten Barcamp fanden sich schon rund 300 Menschen aus der Kölner Region zusammen und brachten ihre Ideen ein.
Danach gab es viele, viele Sitzungen im Ausschuss “essbare Stadt” des Ernährungsrates der Stadt Köln, bis der Aktionsplan geschrieben, eingereicht und modifiziert war. Im Ausschuss “Essbare Stadt” sind aber auch jetzt noch alle willkommen, die daran mitarbeiten wollen, dass Köln eine essbare Stadt wird. Hier werden nicht nur Pläne und Förderanträge geschrieben, sondern auch Aktionen geplant, Arbeitsgruppen gegründet und Projekte angestoßen und begleitet. Dabei geht es sowohl darum, “traditionelle” Möglichkeiten des Gärtners und der Landwirtschaft im Staatgebiet zu erhalten, als auch darum, neue, innovative Lösungen für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion in der Stadt zu schaffen.
Wie wird man Teil der essbaren Stadt?
Eines der ersten Projekte war der “essbare Rathenauplatz” mitten in Köln. Bei einer Pflanzaktion im Oktober 2018 wurden die ersten Obstbäume und Beerensträucher für alle gepflanzt. Mittlerweile gibt es in immer mehr Kölner Stadtteilen Projekte, wo essbare Pflanzen für Mensch und Tier im öffentlichen Raum angebaut werden – Gemüse, Kräuter und Obstbäume, aber auch Blütenpflanzen für Insekten, Beerensträucher für Vögel und vieles mehr. Dabei haben viele attraktive Beete mit einer Mischung aus Blühpflanzen, Obstbüschen und Kräutern Skeptikern die Furcht davor genommen, dass öffentliche Grünflächen durch die Umgestaltung zur essbaren Stadt unattraktiver werden könnten.
Zugleich hat sich gezeigt, wie viel man bewegen kann, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund zusammenarbeiten, um mehr Nahrung für Menschen und Tiere in der Stadt anzupflanzen. Nach dem Kölner Motto “Jeder Jeck is anners” können hier alle auf ihre ganz eigene Art einen Beitrag leisten – im Gemeinschaftsgarten, im Kleingarten, im Schulgarten(netzwerk), im Betriebsgarten, mit einer Baum(scheiben)patenschaft, aber auch bei der Gestaltung öffentlicher Grünflächen, in der Landwirtschaft und im Gartenbau. Es werden Workshops, Kurse und Stadtführungen angeboten, Lehrmaterialien entwickelt, Informationen bereitgestellt und Räume für den Online-Austausch geschaffen.
Damit all die essbaren Pflanzen im öffentlichen Raum auch trockene Zeiten überstehen, gibt es Baumscheibenpatenschaften und Gießpatenschaften. Wer nicht genug Zeit hat, sich langfristig in einem Stadtteilprojekt zu engagieren oder im Ausschuss mitzuarbeiten, kann auch an einer der vielen Einzelaktionen teilnehmen, die Köln “essbarer” machen sollen. So gibt es z.B. immer wieder Pflanzaktionen oder Stadtführungen, die auf der Webseite und auf der Facebookseite der essbaren Stadt angekündigt werden. Manche dieser Aktionen finden im Rahmen von Kölner Festen statt, z.B. bei Stadtteilfesten oder beim Tag des guten Lebens. So kann man nach der Pflanzaktion gleich weiterfeiern. Man kann aber auch einfach bei sich auf dem Balkon anfangen, mit blühenden Kräutern für Menschen und Insekten. Oder man mach seine Wohnung “essbar” und baut seine eigenen Zutaten für einen Salat oder einen Kräutertee im Wohnzimmer an …
Wo findet man andere essbare Städte und Gemeinden?
Köln ist nicht die erste und nicht die einzige essbare Stadt. Begonnen hat alles im englischen Todmorden. Dort entwickelten 2008 Pam Warhurst und Mary Clear das Konzept der edible City (Essbare Stadt). Daraus hat sich das Incredible Edible Network UK entwickelt, dem mittlerweile mehr als 100 Gruppen angehören. In Deutschland wurde 2009 in Kassel der Verein “Essbare Stadt” gegründet. Im selben Jahr begann das städtische Projekt “Essbare Stadt Andernach“, das 2014 durch die Internationale Grüne Woche Berlin bundesweit bekannt wurde.
Mittlerweile gibt es weit über 100 essbare Städte und Gemeinden sowie eine Reihe von kleineren Initiativen, z.B. für einzelne öffentliche Gärten in städtischen Grünanlagen. Das Interessante dabei ist, dass keine “essbare Stadt” der anderen gleicht: Manche Städte und Gemeinden konzentrieren sich auf Gemeinschaftsgärten und den Anbau von Obst, Kräutern und Gemüse im öffentlichen Raum. Für andere ist es besonders wichtig, dass man mit dem Gärtnern das Miteinander in der Stadt fördert und soziale Netze aufbaut oder verstärkt. Daher ist das Gärtnern in soziale Projekte und Nachbarschaftsinitiativen eingebettet. Neben “traditionellen” Formen des städtischen Gärtnerns in Kleingärten, Schulgärten und Privatgärten spielen in vielen Städten auch neuere Konzepte eine Rolle, z.B. Urban Gardening, Guerilla Gardening, Permakultur und Urban Farming.
So kann es sehr inspirierend sein, sich anzuschauen, was in anderen Städten und Gemeinden bereits verwirklicht wurde – und was es dort für Pläne und Visionen gibt. Vielleicht ergibt sich ja auch die Möglichkeit, ein paar essbare Städte und Gemeinden zu besichtigen – eine Liste findet man demnächst hier auf der Sprachspinat-Seite. Viele der Projekte auf dieser Liste sind auch auf sozialen Medien aktiv und der Sprachspinat-Account bei Twitter postet Informationen über neue Projekte und Events in essbaren Städten und Gemeinden.
Mein persönlicher Sprachspinat-Tipp
Oft ergeben sich aus dem Kontakt mit Initiativen zur essbaren Stadt neue Ideen für den eigenen Alltag und das eigene Engagement – und man lernt viele Menschen in seiner Stadt kennen. Es lohnt sich also, mitzumachen oder selbst eine Initiative zu starten!
Ich selbst bin im Spätherbst 2016 nach Köln zurückgekehrt und habe dort durch den Neuland Gemeinschaftsgarten, bei Pflanzaktionen und im Ausschuss “essbare Stadt” viele neue Kontakte knüpfen und viel über das Gärtnern in der Stadt lernen können. Mittlerweile habe ich mich im Kölner Westen niedergelassen, wo wir seit Mai 2019 am Jugendzentrum in Köln Weiden mit einer buntgemischten Gruppe zusammen gärtnern. Das Team der essbaren Stadt hat uns beim Start mit einem Ideenworkshop geholfen; und jetzt gärtnern die Jugendlichen vom Jugendzentrum zusammen mit dem Jugendzentrumsteam, mit Mitgliedern des Weidener Seniorennetzwerks, mit Müttern und Kindern vom lokalen Müttercafe und mit anderen Menschen aus der Nachbarschaft. Dabei wird natürlich gepflanzt, gegossen und geerntet; wir bauen aber auch Pflanzkisten und Gartenmöbel, trinken zusammen Kaffee und feiern gemeinsam. In Corona-Zeiten trifft man sich zwar nicht mehr am Beet, man gießt und jätet aber abwechselnd und bleibt digital oder übers Telefon in Kontakt. Schließlich muss ja für die Zukunft geplant werden!
Dieser Beitrag ist ursprünglich auf Sonjas Blog www.sprache-spiel-natur.de erschienen. Vielen Dank, dass wir ihn auch hier veröffentlichen dürfen.
Bildcredits: Sonja Eisenbeiss