Ein Buch macht Mut! Valentin Thurn, Gundula Oertel und Christine Pohl gehören alle drei der schreibenden Zunft an, sind Food-AktivistInnen und Mitglieder in Ernährungsräten (Köln und Berlin). Mit ihrer Bestandsaufnahme „Genial lokal – So kommt die Ernährungswende in Bewegung“ fassen sie auf knapp 300 Seiten zusammen, wie uns unsere Ernährungssouveränität und -sicherheit verlustig ging, vor allem aber wie wir sie zurückerobern können. Das Recht auf Nahrung ist ein verbrieftes Menschenrecht, aber in Wirklichkeit bestimmen einige wenige Konzerne über unsere Nahrungsmittel, das Saatgut und den Einsatz von Agrochemie. Die zunehmende Machtkonzentration dieser Unternehmen – wie die Fusion von Monsanto und Bayer – verspricht für die Umwelt und unsere Zukunft nichts Gutes und so werden in dem Buch kurz die verheerenden Auswirkungen von Monokulturen, Massentierhaltung, Pestiziden, Genmodifikationen, Rodungen, Börsenhandel mit Nahrungsmitteln etc. erwähnt.

Die Ernährungswende wird schon aufgrund des Zustands unseres Planeten zunehmend zur Notwendigkeit, doch allein in Deutschland ist es so weit gekommen, dass nur noch vier Supermarktkonzerne 85 % des Marktes unter sich aufteilen. Es sind weitgehend die Bundesregierung und die EU, die über unsere Nahrung entscheiden, bzw. die Lobbyisten der entsprechenden Firmen. Den Hebel dort anzusetzen, würde deren massiven Widerstand auslösen; aber was geschieht, wenn die Bürger und Bürgerinnen sich mit ihren Gemeinden und Städten zusammenschließen und gemeinsam über den Anbau und die Sicherung der Nahrung in ihrem Umfeld entscheiden? Das ist im Augenblick nur in kleinem, lokalem Rahmen möglich und „Genial lokal“ versteht sich als „Leitfaden zur Gründung von Ernährungsräten“, denn diese sind eine geeignete Schnittstelle zwischen Erzeugern, Verbrauchern und der Regionalpolitik, und erfüllen eine Vielzahl weiterer Aufgaben.

In Deutschland wurden erst im Jahr 2016 die ersten Ernährungsräte in Köln und Berlin gegründet, die es in den USA, Kanada und Südamerika schon seit rund 20 Jahren gibt. Doch innerhalb kürzester Zeit schossen Dutzende deutschsprachige Ernährungsräte wie Pilze aus dem Boden und trafen sich schon 2017 zu einem ersten Netzwerktreffen, das zweite fand im November 2018 statt. Die beiden Autorinnen und der Autor stellen Köln und Berlin als unterschiedliche Beispiele für Ernährungsräte ausführlicher vor. Während Köln die Politik mit ins Boot geholt hat, hat der Berliner Ernährungsrat davon Abstand genommen. Die Zielsetzungen sind aber ähnlich, es wird darüber beraten, welche politischen Rahmenbedingungen für eine Ernährungswende geschaffen werden müssen.

Das Autoren-Trio stellt viele Beispiele erfolgreicher Projekte vor, darunter die Solidarische Landwirtschaft Hansalim in Südkorea oder „Incredible Edible“ aus Todmorden in England, die beide von der Bürgerschaft getragen werden. In London wurde „Capital Growth“ als Top-down-Modell initiiert und alles durchgeführt, wofür sich Ernährungsräte auch einsetzen, nämlich die Einbindung und Motivation von Städtern, Lebensmittel an allen möglichen geeigneten Orten anzupflanzen. So entstanden neue Gemeinschaftsgärten, es wurden Brachflächen, Parks, Dächer, Schulhöfe und viele andere Stellen bepflanzt. Kopenhagen ist ebenfalls ein mustergültiges Beispiel dafür, was gelingen kann, wenn der politische Wille da ist. Schon 2010 lag der Bioanteil an der Nahrung in öffentlichen Küchen bei 75 %, derzeit bei  90 %.

Auch die Grenzen und Schwierigkeiten werden angesprochen:„Tatsächlich wäre es unsinnig zu erwarten, dass lokale Aktivitäten die durch Kolonialismus, Imperialismus und Neoliberalismus begründete Fehlverteilung von Ressourcen, Macht und Reichtum in der Welt allein aufzulösen vermöchten“(S. 105). Trotzdem hilft es, bei sich selbst zu schauen. Die Produktion von Fleisch verbraucht viele Ressourcen und ist umweltschädlich. Daher sollte unser übermäßiger Fleischkonsum verringert und teilweise durch schmackhafte pflanzliche Lebensmittel ersetzt werden. Auch muss das Bewusstsein für die ungeheure Lebensmittelverschwendung geschärft werden. Die Inklusion von Geringverdienern und bildungsferneren Schichten ist notwendig, aber nicht leicht, während die Einbindung von Kindertagesstätten und Schulen schon sehr gut gelingt. Generell besteht das Bestreben, möglichst viele Bürger und Bürgerinnen für die Sache zu begeistern. “Ein entscheidender Erfolgsfaktor für Ernährungsräte ist es, alle Bereiche des lokalen Ernährungssystems im Rat repräsentiert zu haben: Produktion, Verbrauch, Verarbeitung, Verteilung und Verwertung.“ (S. 257).

„Genial lokal“ zeigt in erster Linie die Erfolge und Fortschritte. Im Weltagrarbericht stimmen über 500 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen darin überein, dass nur ökologische Anbaumethoden und regionale, kleinbäuerliche Landwirtschaft zukunftsfähig sind. Im Jahr 2015 wurde in Mailand der „Milan Food Policy Pact“ geschlossen, in dem sich die unterzeichnenden Städte zur Errichtung eines nachhaltigen Ernährungssystems verpflichten, das auf Inklusion, Resilienz, Sicherheit und Vielfalt beruht. Dazu gehören die deutschen Städte Berlin, Frankfurt am Main, Köln und international insgesamt 180 weitere (Stand Dezember 2018).

Das Buch enthält noch viele weitere Aspekte und bietet neben einem Überblick über die Gesamtsituation konkrete Hinweise für die Gründung weiterer Ernährungsräte, die ein Sammelbecken und gemeinsames Sprachrohr für viele nahrungsbezogene Initiativen sind. Als Netzwerk vermögen sie so als möglichst breites Bündnis aufzutreten und ihre Vision von einer nachhaltigen Zukunft vorzustellen und durchzusetzen. Essen und alle Rahmenbedingungen darum herum, zu denen vor allem existenzsichernde Einkünfte für die Erzeuger und Erzeugerinnen gehören, sind ein Politikum. Nur auf politischer Ebene kann dieser Wandel erreicht werden. „Genial lokal“ lädt aber auch zum kurzen Innehalten ein, um sich an den bisherigen Fortschritten zu erfreuen. Diese Erfolge sind angesichts der einseitigen Machtverteilung umso kostbarer.

Helga Fitzner
Freie Journalistin, Köln

Ernährungsrat Köln